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Radio MĂŒnchen · Argumente gegen die Herrschaft der Angst – Dr. Wolfgang Wodarg im GesprĂ€ch


Libera Nos A Malo (Deliver us from evil)


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===Peter Mayer==

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Feed Titel: Wissenschaft - News und HintergrĂŒnde zu Wissen & Forschung | NZZ


Kann der Pflanzenstoff Fisetin die Lebensuhr verlangsamen?

Eine Substanz aus GemĂŒse und Obst eliminiert altersschwache Zellen, behebt Störungen des Zuckerstoffwechsels – und haucht MĂ€usen frisches Leben ein. Noch ist unklar, ob sich die Erkenntnisse auf den Menschen ĂŒbertragen lassen.
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Feed Titel: Verfassungsblog


Mehr als Lex NPD

Die Diskussion um ein mögliches AfD-Verbot ist und bleibt virulent. So wies etwa BundesprĂ€sident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 9. November ausdrĂŒcklich auf die Möglichkeit des Parteiverbots hin und adressierte dabei die AfD, ohne sie namentlich zu erwĂ€hnen. Steinmeiers Rede wurde umgehend kommentiert: Die AfD spricht von „Amtsmissbrauch“, Wolfgang Kubicki von einem „schwerwiegenden Fehler“. Andere – so der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter oder der thĂŒringische Innenminister Georg Maier – sehen in den Äußerungen Steinmeiers einen wichtigen Beitrag in der Debatte zum Umgang mit der AfD. Wieder einmal zeigt sich, dass in der Diskussion kaum Platz fĂŒr Zwischentöne ist. In der Tat stehen sich die Positionen weitgehend unversöhnlich gegenĂŒber. Keine der beiden Seiten ist ernsthaft in der Lage, ZugestĂ€ndnisse an die andere zu machen, und so gehen Versuche der Differenzierung angesichts beinahe tĂ€glicher EinwĂŒrfe von der politischen Seitenlinie regelmĂ€ĂŸig unter.

Ob ein Verbotsantrag der richtige Weg im Umgang mit der AfD ist, verkommt mehr und mehr zu einer Debatte von GlaubenssĂ€tzen. WĂ€hrend eine Seite in der Verfassung selbst mit ihrer „wehrhaften Demokratie“ ein wesentliches Argument fĂŒr ein solches Verfahren sieht, hĂ€lt die andere Seite die strengen Anforderungen an ein Parteiverbot fĂŒr ein grundsĂ€tzliches Argument gegen das Verfahren. Dabei enthĂ€lt das Grundgesetz selbst keine eindeutige Antwort auf die Frage nach den Risiken und Nebenwirkungen eines Verbotsverfahrens, sondern klĂ€rt lediglich dessen Voraussetzungen. Bei aller rechtswissenschaftlichen Exegese bleibt so unterbelichtet, dass das Grundgesetz mit der Möglichkeit zum Ausschluss einer Partei von der staatlichen Finanzierung in Art. 21 Abs. 3 GG selbst einen Zwischenton zwischen „weiter so“ und Verbot setzt. Dieser Regelung widmet sich der folgende Beitrag und zeigt dabei auf, dass diese auch gegen eine Partei wie die AfD zur Anwendung kommen könnte1).

Kein verfassungswidriges Verfassungsrecht

Damit Art. 21 Abs. 3 GG auf eine große Partei wie die AfD anwendbar ist, muss die Regelung zunĂ€chst verfassungsmĂ€ĂŸig sein. Um dies zu begrĂŒnden, wird hĂ€ufig ein Erst-Recht-Schluss herangezogen. Wenn schon das Verbot verfassungsgemĂ€ĂŸ ist, so mĂŒsse dies fĂŒr den bloßen Ausschluss von der Finanzierung ebenso gelten, schließlich sind die Voraussetzungen weitgehend gleich streng. Insofern wĂŒrde sich der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung nahtlos in die Systematik der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes einfĂŒgen, die das BVerfG bereits in der KPD-Entscheidung als „Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz [
] und dem Bekenntnis zu gewissen, unantastbaren Grundwerten“ (Rn. 258) beschrieb. Wenngleich dieser Ausgangspunkt ausklammert, dass eine Partei, der die Finanzierung entzogen wurde, als „illegitime Kraft“ am politischen Wettbewerb teilnehmen und so ein neues PhĂ€nomen darstellen wĂŒrde, ist er doch im Ergebnis richtig. Gemessen an Art. 79 Abs. 3 GG ist Art. 21 Abs. 3 GG kein verfassungswidriges Verfassungsrecht. Weder die Schranke des Demokratieprinzips noch die der MenschenwĂŒrde in ihrer demokratisch-teilhaberechtlichen AusprĂ€gung werden in ihren Kernelementen durch den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung berĂŒhrt. Wie auch das Parteiverbot fordert der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung nĂ€mlich eine Beeinflussung oder BeeintrĂ€chtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Deren Schutz erstreckt sich jedoch im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 und 3 GG auf wenige unverzichtbare Grundprinzipien. Auch der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung kommt demnach erst in Betracht, wenn „dasjenige infrage gestellt und abgelehnt wird, was zur GewĂ€hrleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss“.

GrundsÀtzlich gleicher Anwendungsbereich von Verbot und Ausschluss

Damit ist aber noch nicht geklĂ€rt, ob die Regelung tatsĂ€chlich auch auf große Parteien anwendbar ist. Um dieser Frage nachzugehen, muss das VerhĂ€ltnis zum Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG in den Blick genommen werden. Der Gesetzgeber schuf die Norm als Reaktion auf die zweite NPD-Entscheidung des BVerfG, da die NPD nach Ansicht des BVerfG mangels politischer Bedeutung nicht verboten werden konnte. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Parteiverbot und Finanzierungsentzug ist demnach das vom BVerfG in Art. 21 Abs. 2 GG hineingelesene Kriterium der PotenzialitĂ€t. Eine Partei kann demnach nur verboten werden, wenn neben einer Programmatik, die die bestehende freiheitliche Ordnung beseitigen will, auch die Möglichkeit besteht, dass dieses Ziel erreicht wird. Die NPD wurde damals also von ihrer vollkommenen Bedeutungslosigkeit „gerettet“. Das könnte als Indiz dafĂŒr gesehen werden, dass der Finanzierungsentzug nur eine „Lex NPD“ ist und sich ihr Anwendungsbereich in Kleinstparteien erschöpft, die mangels PotenzialitĂ€t nicht verboten werden können. Dem Wortlaut der Regelungen lĂ€sst sich ein solches RangverhĂ€ltnis allerdings nicht entnehmen. WĂ€hrend das Verbot voraussetzt, dass die Partei auf die verfassungswidrige Zielsetzung „ausgehen“ muss, verlangt der Finanzierungsentzug lediglich, dass die Partei darauf „ausgerichtet“ ist. Damit beschrĂ€nkt sich Art. 21 Abs. 3 GG keineswegs ausdrĂŒcklich auf „kleine“ Parteien. Auch dem einfachen Recht ist nicht zu entnehmen, dass vorrangig ein Verbotsverfahren eingeleitet werden muss. § 43 Abs. 1 S. 2 BVerfGG stellt lediglich klar, dass der Antrag auf Ausschluss von der staatlichen Finanzierung hilfsweise zu einem Verbotsantrag gestellt werden kann. Nur weil die Vorschrift im Zuge des gescheiterten NPD-Verbots geschaffen wurde, ist ihr Anwendungsbereich somit nicht auf Parteien beschrĂ€nkt, deren Struktur der NPD Ă€hnelt.

Ermessensbindung?

Aus dem VerhÀltnis von Parteiverbot und Finanzierungsentzug kann demnach keine BeschrÀnkung des Anwendungsbereichs von Art. 21 Abs. 3 GG abgeleitet werden. Eine solche könnte allerdings aus einer anderen, in der Literatur durchaus verbreiteten ErwÀgung abgeleitet werden. Wenn die antragsberechtigten Organe verfassungsrechtlich unter bestimmten Bedingungen verpflichtet sind, einen Verbotsantrag zu stellen, wÀre es ihnen im Umkehrschluss mindestens in dieser Konstellation verwehrt, gegen dieselbe Partei einen Antrag zu stellen, der sich allein auf den Finanzierungsentzug richtet.

Ob die zur Antragstellung berechtigten Organe unter gewissen UmstĂ€nden verpflichtet sind, einen Verbotsantrag zu stellen, wird seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Das erstaunt vor dem Hintergrund, dass das BVerfG bereits im Verfahren zum KPD-Verbot im Jahr 1956 ausfĂŒhrte, dass ein „politisches Ermessen“ bestehe, auch wenn die Antragsteller die Partei fĂŒr verfassungswidrig halten. Dennoch finden sich – wenn auch mit divergierenden BegrĂŒndungen – seit jeher Stimmen, die sich fĂŒr eine Antragspflicht aussprechen.

In den Nachwehen des KPD-Verbots und unter dem Eindruck der außerparlamentarischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre machte sich etwa der zu dieser Zeit im Innenministerium tĂ€tige Verwaltungsjurist Karl-Heinz Seifert fĂŒr eine Antragspflicht stark. Seifert, der bereits im Nationalsozialismus als Beamter Karriere machte, sah insbesondere die Bundesregierung aufgrund des LegalitĂ€tsprinzips sowie der Regelungstechnik von Art. 21 Abs. 2 GG („sind verfassungswidrig“) zur Antragstellung verpflichtet, andernfalls „drohe die streitbare Demokratie zur bloßen Phrase und SelbsttĂ€uschung zu verkommen“. Auch in der aktuellen Debatte wird auf die Regelungstechnik von Art. 21 Abs. 2 GG hingewiesen, um einen schrumpfenden Ermessensspielraum bei der Antragstellung zu begrĂŒnden. Und in der Tat: Wer der Auffassung folgt, dass Parteien bereits vor der Feststellung durch das BVerfG aufgrund des Wortlauts der Normen materiell-rechtlich verfassungswidrig „sind“, der kann daraus Konsequenzen fĂŒr das Entschließungsermessen der Antragsteller ziehen. Daneben wird in der wissenschaftlichen Debatte hĂ€ufig darauf verwiesen, dass es in einem Rechtsstaat kein freies Ermessen geben könne und auch die Historie der Vorschrift als Antwort auf die vermeintliche SchwĂ€che der Weimarer Verfassung fĂŒr eine Antragspflicht spreche.

Gegen diese Argumente sprechen allerdings erhebliche EinwĂ€nde. So sind jene BegrĂŒndungen fĂŒr eine Antragsverpflichtung, die aus der Historie und dem Zweck des Art. 21 Abs. 2 GG abgeleitet werden, einseitig darauf bezogen, ein Parteiverbot zu ermöglichen. Dass das Parteiverbot durch das verfassungsgerichtliche Monopol auch beschrĂ€nkt wird, wird kaum gewĂŒrdigt. Bis das BVerfG ĂŒber das Verbot entschieden hat, bewegen sich alle Parteien im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten politischen Freiheit. Das Verbotsverfahren ist daher eben keine Sanktionsmaßnahme fĂŒr vorangegangenes politisches Fehlverhalten, sondern wirkt zukunftsorientiert. Aus dem Umstand, dass politische Freiheit bis zur Entscheidung durch das BVerfG nicht staatlich sanktioniert werden darf, folgt der Charakter des Parteiverbots und der wehrhaften Demokratie als solcher. Dieser liegt mit Helmut Ridder nicht in der Abwehr von an sich verfassungswidrigem Verhalten, sondern in der Befugnis zur UnterdrĂŒckung von Strömungen, die die Abschaffung der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ zum Ziel haben. Das Grundgesetz beinhaltet insofern keinen Automatismus, sondern erlaubt es den verantwortlichen Organen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ausnahmsweise und unter Monopolisierung der Entscheidung beim BVerfG gegen Gegner der freiheitlichen Ordnung vorzugehen.

Befassungsauftrag!

Können sich die politisch verantwortlichen Organe, obwohl sie von der Verfassungswidrigkeit einer Partei ĂŒberzeugt sind, nicht zur Antragsstellung durchringen, so ist diese WidersprĂŒchlichkeit gerade eine Konsequenz aus der konkreten Gestaltung der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes. Sie ermöglicht Parteiverbote, ohne sie zu verlangen, eben weil der schmale Grat zwischen Freiheitsschutz und FreiheitsbeschrĂ€nkung politischer Verantwortung bedarf. Das bedeutet wiederum aber ebenso wenig, dass die antragsberechtigten Organe das Parteiverbot einfach rechts liegen lassen dĂŒrfen. Gerade weil das Grundgesetz die Möglichkeit ausdrĂŒcklich vorsieht, lĂ€sst sich aus Art. 21 GG ein Befassungsauftrag ableiten, sich ernsthaft mit der Option eines Verbots auseinanderzusetzen. Am Ende dieser Auseinandersetzung kann dann aber auch das Ergebnis stehen, dass trotz hoher Erfolgsaussichten ein Antrag nicht gestellt wird, weil die potenziellen Antragsteller zu der Überzeugung kommen, dem Schutz der freiheitlichen Ordnung ohne Verbot besser dienen zu können.

Konsequenzen fĂŒr das VerhĂ€ltnis von Verbot und Finanzierungsentzug

FĂŒr den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 und 3 GG ergeben sich, je nach vertretenem Standpunkt, unterschiedliche Konsequenzen. Soweit eine Antragspflicht angenommen wird und deren Bedingungen erfĂŒllt sind, kommt dagegen nur noch ein Parteiverbotsverfahren in Betracht, sofern die Partei das Kriterium der PotenzialitĂ€t mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfĂŒllt. Wenn, wie hier, lediglich von einem Befassungsauftrag ausgegangen wird, sind die Antragsteller hinsichtlich der Wahl des Mittels – Verbot oder Finanzierungsentzug – nicht gebunden. Dieses Ergebnis lĂ€sst sich auch durch eine systematische Überlegung absichern. Maßnahmen nach Art. 21 Abs. 2 und Abs. 3 GG verlangen nĂ€mlich, dass es sich bei der fraglichen Organisation ĂŒberhaupt um eine Partei handelt. Die Rechtsprechung verlangt jedoch: Je lĂ€nger eine Partei existiert, desto eher muss sie auch tatsĂ€chlich in der Lage sein, an der politischen Willensbildung teilzuhaben. Organisationen, die dieses Kriterium nicht erfĂŒllen, fallen nicht unter Art. 21 Abs. 2 und Abs. 3 GG. WĂ€re Art. 21 Abs. 3 GG auf Parteien begrenzt, die das PotenzialitĂ€tserfordernis nicht erfĂŒllen, könnte die Norm nur auf Organisationen angewendet werden, die zwar groß genug sind, um Einfluss auf die Willensbildung zu nehmen, deren Einfluss aber nicht ausreicht, um ihre Ziele tatsĂ€chlich durchzusetzen. FĂŒr den Finanzierungsentzug verbliebe somit allein dort ein Anwendungsbereich, wo eine Partei bereits staatlich finanziert wird (gem. § 18 Abs. 4 S. 1 PartG ĂŒber 0,5 bzw. 1,0 %), aber noch nicht das Potenzial aufweist, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch zu erreichen. FĂŒr Parteien, die nicht an der staatlichen Finanzierung teilnehmen, wĂŒrde der Finanzierungsausschluss zwar immerhin noch Steuerprivilegien beenden. Dennoch fiele der durch die Norm selbst genannte Anwendungsbereich – nĂ€mlich der Entzug der Finanzierung – weitgehend aus, da die PotenzialitĂ€t bereits bei geringen Wahlerfolgen anzunehmen ist.

Kein „Parteiverbot light“, aber ein zusĂ€tzliches Instrument

Art. 21 Abs. 3 GG gibt den Antragstellern damit ein Mittel an die Hand, in einem rechtsstaatlichen Verfahren und unter hohen Voraussetzungen durch das BVerfG feststellen zu lassen, dass eine Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt, ohne diese vollstĂ€ndig von der politischen Willensbildung auszuschließen. Diese Möglichkeit besteht auch fĂŒr große Parteien. Das Grundgesetz zeigt im Umgang mit potenziellen Feinden der Freiheit Wege auf, ohne sie vorzuzeichnen. Dabei rĂŒckt bei einem Antrag auf Entzug der Finanzierung die Signalwirkung in den Vordergrund. Statt auf die exekutive Durchsetzung eines möglichen Verbots zu vertrauen, verließen sich die Antragsteller ĂŒberwiegend auf die Wirkung, die von der Entscheidung des BVerfG ausgehen wĂŒrde. Angesichts der Rolle des Gerichts im demokratischen System muss dies keinesfalls ein Nachteil sein.

Damit ist Art. 21 Abs. 3 GG kein Verbot „light“. Das Grundgesetz kennt aber seit der EinfĂŒhrung des Absatzes neben legalen und illegalen Parteien eine dritte Kategorie: die „verfassungsfeindliche“, aber wĂ€hlbare Partei. Damit schafft die Regelung eine neue FlexibilitĂ€t, die gleichwohl keinen „goldenen Weg“ aus dem Dilemma bietet, das Parteiverbot und wehrhafte Demokratie schaffen. Es bleibt dabei, dass die politisch Verantwortlichen entscheiden mĂŒssen, welchen Weg sie beim Umgang mit potenziell verfassungsfeindlichen Parteien wĂ€hlen. Die Verfassung selbst erzwingt dabei nichts, die Diskussion darum wird sich fortsetzen.

References[+]

References
↑1 Bei dem Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen aus Maurer/Spahr, MIP 2025, S. 284f.

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Die Sanktionierung des Rechts

Stellen Sie sich einmal vor, dass ein westlicher Regierungschef den Generalstaatsanwalt und Richter:innen des obersten Gerichts sanktioniert, weil sie Strafverfahren gegen seine Parteifreunde betrieben haben. Er lĂ€sst ihr Vermögen beschlagnahmen, Bankkonten einfrieren, die Bewegungsfreiheit einschrĂ€nken. Er verbietet den nationalen Unternehmen jegliche GeschĂ€ftsbeziehung mit den sanktionierten Personen, einschließlich der Familienangehörigen. Ein fundamentaler Angriff auf die Gewaltenteilung und die Arbeit der Justiz? Ja! Unvorstellbar? Leider nein!

Denn genau dies hat die Trump-Regierung inzwischen mit der FĂŒhrungsebene der Anklagebehörde und sechs Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) getan. Die Sanktionierung erfolgte per prĂ€sidialer Exekutivverordnung 14203 („VO“) am 6. Februar 2025.1) Sie war zunĂ€chst auf den – inzwischen aus anderen GrĂŒnden suspendierten – ChefanklĂ€ger Karim Khan beschrĂ€nkt, wurde dann aber am 5. Juni 2025 von Außenminister Marco Rubio auf vier Richter2) und am 20. August 2025 auf die zwei stellvertretenden AnklĂ€ger3) sowie zwei weitere Richter4) erweitert.5) Weitergehend droht die institutionelle Sanktionierung des IStGH, die zwar auf legislativer Ebene („Illegitimate Court Counteraction Act“) Anfang des Jahres im US-Senat gescheitert ist,6) aber jederzeit wieder vom Kongress aufgenommen oder per erneuter Exekutivverordnung angeordnet werden kann. Auch der IStGH braucht also eine Art „Justiz-Projekt“ gegen die rechtspopulistische Gefahr,7) allerdings auf supranationaler Ebene.

BegrĂŒndung der Sanktionen

Die Sanktionierung wird damit begrĂŒndet, dass der IStGH durch die genannten Personen „ohne legitime Grundlage“ („without a legitimate basis“) Ermittlungen gegen US-Personal und seine VerbĂŒndeten („certain of its allies“)8)– sog. „geschĂŒtzte Personen“ („protected persons“)9) – eingeleitet habe und dieses „bösartige Verhalten“ („malign conduct“) dieser „bankrotten Institution“ („bankrupt institution“) die SouverĂ€nitĂ€t der USA verletze und ihre nationale Sicherheit untergrabe. Konkret wird den sanktionierten Personen vorgeworfen, „sich direkt an BemĂŒhungen des IStGH beteiligt zu haben, eine geschĂŒtzte Person ohne Zustimmung des Heimatlandes dieser Person zu untersuchen, zu verhaften, festzuhalten oder strafrechtlich zu verfolgen.“10) Allerdings werden neben Israel keine US-VerbĂŒndeten genannt und tatsĂ€chlich lief zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses nur noch das Verfahren in der „Situation in the State of Palestine“, das am 21. November 2024 zur Anordnung von (unveröffentlichten) Haftbefehlen gegen den israelischen Premierminister Netanjahu und den damaligen Verteidigungsminister Gallant (sowie gegen drei – inzwischen getötete – HamasfĂŒhrer) gefĂŒhrt hat.

DemgegenĂŒber hat der damalige ChefanklĂ€ger die Ermittlungen im Afghanistan-Verfahren schon am 27. September 2021 auf die Taliban beschrĂ€nkt11) und bezĂŒglich US-Staatsangehöriger effektiv eingestellt („depriorized“). Derzeit laufen also ĂŒberhaupt keine Ermittlungen gegen US-Staatsangehörige. Die Sanktionierung der genannten Personen lĂ€sst sich damit tatsĂ€chlich nur – abgesehen von einer ideologischen Feindschaft der Trump-Regierung gegen den IStGH als ReprĂ€sentanten völker(straf)rechtlicher Verantwortlichkeit – mit den Israel/PalĂ€stina Ermittlungen begrĂŒnden. Das belegt auch die (zusĂ€tzliche) Sanktionierung der PalĂ€stina-UN-Sonderberichterstatterin Albanese durch Außenminister Rubio am 9. Juli 2025.

An den Israel/PalĂ€stina-Ermittlungen waren allerdings bisher nur AnklĂ€ger Khan (und seine zwei Stellvertreter seit seiner Suspendierung) sowie die Richter Alapini Gansou, Guillou und Hohler (als Mitglieder der Vorverfahrenskammer, die die o.g. Haftbefehle erlassen hat) beteiligt. Die anderen sanktionierten Richter (Balungi Bossa, Ibåñez Carranza und Prost) haben als Teil der Rechtsmittelkammer – neben den inzwischen ausgeschiedenen (und nicht sanktionierten) Richtern HofmĂĄnski und Morrison – am 5. MĂ€rz 2020 die Afghanistan-Ermittlungen autorisiert. Damit wird die Strategie der Sanktionspolitik der US-Regierung klar: Es sollten nur die noch aktiven Richter und diejenigen sanktioniert werden, die als Teil der Rechtsmittelkammer die Afghanistan-Ermittlungen in ihrem ursprĂŒnglichen Umfang (neben Taliban u.a. auch US-Staatsangehörige betreffend) autorisiert haben, nicht aber alle am Afghanistan-Verfahren beteiligten Richter (so etwa nicht der italienische Richter Aitala, der maßgeblich an der ablehnenden Eröffnungsentscheidung der Vorverfahrenskammer II vom 12. April 2019 beteiligt war).

Es geht der US-Regierung also ausschließlich um den Schutz eigener und befreundeter (israelischer) Staatsangehöriger, nicht um die Verfahren oder die TatvorwĂŒrfe an sich. Solange diese sich gegen Gegner und Feinde der USA (Taliban) oder Israels (Hamas) richten, hat die US-Regierung kein Problem mit dem angeblichen „overreach“ des IStGH. Wenn aber gegen die USA oder deren Freunde das Recht durchgesetzt werden soll, wird der Gerichtshof selbst zum Feind. Diese Doppelstandards sind nicht neu, sie lassen sich aktuell auch im sogenannten Drogenkrieg beobachten: WĂ€hrend die Trump-Regierung angebliche „Narco-Terroristen“ in der Karibik außergerichtlich hinrichtet (zur evidenten Völkerrechtswidrigkeit s. umfassend hier, hier und auch hier), begnadigt sie gleichzeitig den ehemaligen PrĂ€sidenten von Honduras, Juan Orlando HernĂĄndez, der zuvor in den USA in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu 45 Jahren Freiheitsstrafe u.a. wegen Drogenhandels verurteilt wurde.

Sanktionen mit gravierender Wirkung

Eine sanktionierte Person und ihre Familienangehörigen dĂŒrfen nicht in die USA reisen. Ihr gesamtes Vermögen und alle Vermögensanteile, die sich in den USA befinden oder im Besitz oder unter der Kontrolle von US-Personen stehen, sind gesperrt und mĂŒssen dem Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums gemeldet werden. DarĂŒber hinaus sind alle (natĂŒrlichen oder juristischen) Personen gesperrt, die direkt oder indirekt, einzeln oder insgesamt zu 50 Prozent oder mehr im Besitz einer oder mehrerer gesperrter Personen sind. SĂ€mtliche Transaktionen von US-Personen oder innerhalb (oder im Transit) der USA, die Vermögen oder Vermögensanteile von benannten oder anderweitig gesperrten Personen betreffen, sind verboten, sofern keine allgemeine oder spezifische Genehmigung des OFAC vorliegt oder eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde. Dieses Verbot umfasst die Leistung oder Bereitstellung von Geldern, Waren oder Dienstleistungen durch, an oder zugunsten einer sanktionierten Person sowie den Empfang von Geldern, Waren oder Dienstleistungen von einer solchen Person (s. auch Galbraith und Hovell).

Das sind aber nur die primĂ€ren Wirkungen, auch primĂ€re Sanktionen genannt. Gravierender noch können die sekundĂ€ren Sanktionen sein. Sie gehen ĂŒber das US-Staatsgebiet und US-Staatsangehörige und Unternehmen hinaus, wirken also extraterritorial und weltweit. Mitunter sind sie auch eine Folge von vorauseilender ÜbererfĂŒllung („overcompliance“), was zugleich den chilling effect der PrimĂ€rsanktionen zeigt. Beispielhaft: Eine europĂ€ische Bank mit Sitz in der EU, die eigentlich nicht direkt von den Sanktionen betroffen ist, kĂŒndigt das Konto eines Sanktionierten, weil sie negative Effekte fĂŒr ihr US-GeschĂ€ft befĂŒrchtet. Zu den konkreten Wirkungen haben sich zwei der sechs betroffenen Richter öffentlich geĂ€ußert, zum einen der französische Richter Guillou (hier) und zum anderen die kanadische Richterin Prost (hier und hier): Über das Einreiseverbot in die USA hinaus von einem auf den anderen Tag keine Waren, Dienstleistungen oder Geldmittel mehr von US-Unternehmen (z.B. Amazon, Airbnb, PayPal, Visa, Master Card) und zugleich indirekte (sekundĂ€re) Wirkungen auch auf GeschĂ€fte mit europĂ€ischen Unternehmen, z.B. der heimischen Bank oder einem Reiseunternehmen. Ähnliches wird von UN-Sonderberichterstatterin Albanese im Rahmen einer Anhörung im italienischen Senat berichtet; zugleich bedauerte der Manager ihrer italienischen „Banca Etica“ (!), dass er ihr Konto kĂŒndigen mĂŒsse, und bat die Politik um Gegenmaßnahmen.

Zu den (möglichen) Gegenmaßnahmen der EU

Um solche (extraterritorialen) Wirkungen zu vermeiden, hat die EU frĂŒher – im Zusammenhang mit US-Sanktionen gegen Kuba und den Iran – eine sog. Blocking-Verordnung erlassen (VO 2271/96 vom 29.11.1996), die es EU-„Personen“ (natĂŒrliche und juristische Personen, Art. 11) verbietet, solchen Sanktionen nachzukommen. In einer wegweisenden Entscheidung vom 21. Dezember 2021 („Bank Melli Iran gegen Telekom Deutschland GmbH“)12) bestĂ€tigt der EuGH (Große Kammer) zunĂ€chst – in Übereinstimmung mit den ErwĂ€gungsgrĂŒnden der Verordnung –, dass die extraterritoriale Wirkung der US-Sanktionen „die Interessen der Union und 
 der bezeichneten Personen [beeintrĂ€chtigt], indem sie das Völkerrecht verletzen und die Verwirklichung der Ziele der Union [Förderung des freien Handels] behindern“ (para. 37). Das Verbot (gemĂ€ĂŸ Art. 5 VO 2271/96), solchen Sanktionen nachzukommen, gelte auch dann, „wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der DrittlĂ€nder, die diese Gesetze erlassen haben, keine Weisung zu deren Einhaltung vorliegt.“ (para. 42-51). Ein EU-Unternehmen dĂŒrfe zwar VertrĂ€ge mit sanktionierten Personen – auch ohne Angabe von GrĂŒnden – kĂŒndigen, jedoch nicht alleine wegen der US-Sanktionen, sondern es mĂŒsse andere GrĂŒnde, z.B. wirtschaftlicher Art, vorbringen und nachweisen (para. 52-68).13) Der darin liegende Konflikt mit dem Grundrecht unternehmerischer Freiheit (Art. 16 EU-Grundrechtecharta) sei letztlich im Wege einer VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeitsprĂŒfung aufzulösen, im Rahmen derer die Verfolgung der o.g. Ziele der Union mit den wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Unternehmens abzuwĂ€gen sei. Diese haben zurĂŒckzutreten, soweit die Unwirksamkeit einer KĂŒndigung eines Vertrags mit einer sanktionierten Person – als Konsequenz der von der EU geforderten Nichtbefolgung der extraterritorialen Sanktionierung – keine „unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸigen Auswirkungen“ auf das betroffene Unternehmen habe (para. 69-95).14)

Eine solche Blocking-Verordnung wurde auch als Reaktion auf die US-Sanktionen gegen den Strafgerichtshof diskutiert (s. zum EuropĂ€ischen Parlament hier und hier). Als weitere EU-Gegenmaßnahme kĂ€me auch das 2023 erlassene Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang (VO (EU) 2023/2675) in Betracht. Es geht auf chinesische Zwangsmaßnahmen gegen Litauen wegen dessen Taiwan-Politik im Jahre 2021 zurĂŒck (s. hier). Art. 2 Abs. 1 der Verordnung definiert wirtschaftlichen Zwang als „Maßnahme eines Drittlandes 
, die den Handel oder Investitionen beeintrĂ€chtigt, um die Einstellung, Änderung oder Annahme eines bestimmten Rechtsakts durch die Union oder einen Mitgliedstaat zu verhindern oder zu erwirken, und dadurch in die legitimen souverĂ€nen Entscheidungen der Union oder eines Mitgliedstaats eingreift.“ PrimĂ€r geht es also um wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen (wie etwa die von der Trump-Regierung erhobenen Zölle), doch wenn man davon ausgeht, dass solche Maßnahmen (wie die IStGH-Sanktionen) auch die souverĂ€ne Außenpolitik der EU beeintrĂ€chtigen (hier die vorbehaltslose UnterstĂŒtzung des IStGH),15) ließe sich die Aktivierung dieses Instruments durchaus begrĂŒnden. Andernfalls könnte die EU auch einen passgenaueren Rechtsakt erlassen. 

Bisher hat sich die EU allerdings noch nicht zu einer solchen formalen Reaktion durchringen können – nicht nur wegen der oben deutlich gewordenen rechtlichen (und wirtschaftlichen) Problematik, sondern (wohl) auch, weil man fĂŒrchtet, dass die US-Regierung dann den Gerichtshof als Ganzes sanktionieren könnte. Einerseits ist diese BefĂŒrchtung, wie eingangs gesagt, durchaus berechtigt; und wenn sie eintrĂ€te, stĂŒnde die Existenz des Gerichtshofs auf dem Spiel. Andererseits aber können nur verbale Proteste und SolidaritĂ€tserklĂ€rungen16) die Wirkungen der Sanktionen praktisch nicht abmildern. Auch die – lobenswerten und wichtigen – BemĂŒhungen der IStGH-GeschĂ€ftsstelle („Registry“), Resilienz, AnpassungsfĂ€higkeit und Nachhaltigkeit des IStGH zu stĂ€rken,17) u.a durch RĂŒckgriff auf nationale Umgehungsstrategien,18) sowie der innerstaatliche Dialog bestimmter Vertragsstaaten mit relevanten nationalen Unternehmen können die Wirkungen einer formalen EU-Reaktion (insbesondere mittels einer Blocking-Verordnung) nicht ersetzen.

Angriff auf das Recht

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die USA als das Land, das maßgeblich fĂŒr den NĂŒrnberger Hauptkriegsverbrecherprozess verantwortlich war, nun gerade das Gericht, das es ohne NĂŒrnberg nicht geben wĂŒrde, zerstören wollen. Anders als in der Karibik tötet die Trump-Regierung mit den Sanktionen zwar nicht physisch, vernichtet aber die bĂŒrgerliche Existenz der betroffenen Vertreter des Strafgerichtshofs. Die Sanktionierung kommt dem zivilen Tod gleich, weil Sanktionierte nicht mehr am normalen GeschĂ€ftsleben teilnehmen können. UnabhĂ€ngige StaatsanwĂ€lte und Richter werden mit Terroristen, organisierten Kriminellen und korrupten Diktatoren gleichgestellt. Mit anderen Worten: Sie werden dafĂŒr bestraft, dass sie ihren Job machen – einen „Job“, fĂŒr den sie gewĂ€hlt und ernannt wurden und aufgrund dessen sie einen besonderen Schutz genießen (Art. 48 Abs. 2 IStGH-Statut).19) Zugleich lassen sich die Sanktionen und die sie begleitenden Repressalien und Drohungen gegen Mitglieder des IStGH und das Gericht als Ganzes – ebenso wie die russische Strafverfolgung und Verurteilung (in Abwesenheit) von IStGH-FĂŒhrungspersonal – als Straftaten gegen die Rechtspflege i.S.v. Art. 70 Abs. 1 lit. d), e) IStGH-Statut qualifizieren (so auch die ASP-Resolution vom 5. Dezember 2025, para. 4; ebenso Hovell).

So erweist sich die US-Sanktionspolitik nicht nur als Angriff auf den IStGH, sondern als Angriff auf das Recht schlechthin. Dem muss man mehr entgegensetzen als bloß verbalen Protest. Den Worten mĂŒssen Taten folgen. Ein EU-Rechtsakt in Form einer Blocking-Verordnung oder ein passgenaueres Instrument (gegebenenfalls orientiert an der VO gegen wirtschaftlichen Zwang) könnte eine solche Tat sein (dafĂŒr auch Hovell [mit weiteren Maßnahmen auch innerhalb der USA] und Iverson). Sie wĂŒrde nicht nur gerichtshoffreundlichen EU-Akteuren helfen, ihre vertraglichen Beziehungen mit dem IStGH aufrechtzuerhalten, sondern ĂŒber die EU und Europa hinaus ein starkes, nicht nur symbolisches Signal europĂ€ischer Entschlossenheit senden. Sie wĂŒrde einen ersten Schritt auf dem Weg zur – auch in diesem Bereich ĂŒberfĂ€lligen – Erlangung europĂ€ischer SouverĂ€nitĂ€t darstellen. Zugleich sollte sich der IStGH – gleichsam prĂ€ventiv mit Blick auf eine mögliche institutionelle Sanktionierung – von US-Unternehmen (z.B. von Microsoft Office) unabhĂ€ngig machen.

Eine knappe Audiofassung dieses Beitrags ist hier verfĂŒgbar: DLF, Politisches Feuilleton, 17.12.25.

References[+]

References
↑1 Zuvor (20.1.2025) hatte Trump PrĂ€sident Bidens Exekutivverordnung 14022 v. 1.4.2021, mit der die Sanktionen der ersten PrĂ€sidentschaft Trumps aufgehoben wurden („not an effective or appropriate strategy for addressing the United States’s concerns with the ICC“), aufgehoben, womit allerdings noch nicht automatisch neue Sanktionen in Kraft getreten sind; dazu musste Trump erst einen neuen „nationalen Notstand“ erklĂ€ren und die neue VO 14203 erlassen; vgl. Bridgeman/Hamilton; fĂŒr einen Überblick der US-Position seit PrĂ€sident Clinton s. Galbraith.
↑2 Solomy Balungi Bossa (Uganda), Luz del Carmen Ibåñez Carranza (Peru), Reine Adelaide Alapini Gansou (Benin) und Beti Hohler (Slowenien).
↑3 Nazhat Shameem Khan (Fidschi) und Mame Mandiaye Niang (Senegal).
↑4 Kimberly Prost (Kanada), Nicolas Guillou (Frankreich).
↑5 VO 14203 ermĂ€chtigt den Außenminister weitere „foreign person(s)“ fĂŒr eine Sanktionierung zu bestimmen (section 1(a)(ii)(A)).
↑6 Der Gesetzentwurf wurde mit 243 zu 140 Stimmen vom US-ReprĂ€sentantenhaus am 9.1.2025 verabschiedet, scheiterte dann aber im Senat, weil die erforderliche Mehrheit zur Überwindung eines filibuster (60 von 100 Stimmen) nicht erreicht wurde (sog. „failed cloture“). Das Gesetzgebungsverfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden, s. zusf. hier.
↑7 S. insoweit zum „bigger picture“ der Trump-Sanktionen (Angriff auf Justiz und Rechtsstaat) Galbraith sowie das Interview mit Kim Scheppele.
↑8 Als “ally“ der USA gilt gemĂ€ĂŸ sect. 8(e) VO 14203

“(i) a government of a member country of the North Atlantic Treaty Organization; or

(ii) a government of a “major non-NATO ally,” as that term is defined by section 2013(7) of the American term is defined by section 2013(7) of the American Servicemembers’ Protection Act of 2002 (22 U.S.C. 7432(7) )“.

Danach wird ein “major non-NATO ally” vom US-PrĂ€sidenten – als zentraler Sicherheitspartner – bestimmt.

↑9 GemĂ€ĂŸ sect. 8(d) VO 14203 gelten als „protected persons“ (nicht mit dem humanitĂ€rvölkerrechtlichen Begriff zu verwechseln)

„(i) any United States person 
 including

(A) current or former members of the Armed Forces of the United States;

(B) current or former elected or appointed officials of the United States Government; and

(C) any other person currently or formerly employed by or working on behalf of the United States

Government; and

(ii) any foreign person that is a citizen or lawful resident of an ally of the United States that has not

consented to ICC jurisdiction over that person or is not a state party to the Rome Statute, including:

(A) current or former members of the armed forces of such ally of the United States;

(B) current or former elected or appointed government officials of such ally of the United States;

and

(C) any other person currently or formerly employed by or working on behalf of such a government;“

↑10 Section 1(a)(ii)(A) VO 14203 (“
 having directly engaged in any effort by the ICC to investigate, arrest, detain, or prosecute a protected person without consent of that person’s country of nationality.”).
↑11 Insoweit hat Khan am 23.1.2025 auch Haftbefehle beantragt, die am 8.7.2025 durch Vorverfahrenskammer II erlassen wurden.
↑12 Die Entscheidung, ergangen auf Vorlage des OLG Hamburg, hatte die RechtmĂ€ĂŸigkeit der KĂŒndigung der TelekommunikationsvertrĂ€ge der Bank Melli durch die Telekom mit Blick auf die Blocking-VO zum Gegenstand.
↑13 S. genauer EuGH, Urteil 21.12.2021, para. 52-68, mit einer etwas kryptischen Schlussfolgerung hinsichtlich des KĂŒndigungsgrunds (para. 68): „Wenn alle Beweismittel, ĂŒber die das nationale Gericht verfĂŒgt, auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass eine von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 erfasste Person den gelisteten Gesetzen nachgekommen ist, ohne insoweit ĂŒber eine Genehmigung zu verfĂŒgen, verlangt Art. 5 Abs. 1 allerdings, dass es im Rahmen eines Zivilprozesses ĂŒber einen behaupteten Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen ebendieser Person obliegt, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten nicht darauf abzielte, diesen Gesetzen nachzukommen.“
↑14 Ebd., para. 95: „
 dass die Verordnung Nr. 2271/96, insbesondere ihre Art. 5 und 9, im Licht von Art. 16 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass sie der Feststellung der Unwirksamkeit einer KĂŒndigung von VertrĂ€gen nicht entgegensteht, die durch eine von Art. 11 der Verordnung erfasste Person zur Befolgung von Forderungen oder Verboten, die auf den gelisteten Gesetzen beruhen, erklĂ€rt wurde, obgleich sie nicht ĂŒber eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung verfĂŒgt, soweit die Feststellung der Unwirksamkeit fĂŒr diese Person keine in Anbetracht der Ziele der Verordnung, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schĂŒtzen, unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸigen Auswirkungen hat. Bei dieser VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeitsprĂŒfung ist die Verfolgung dieser Ziele, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 vorgesehene Verbot verstoßenden VertragskĂŒndigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwĂ€gen, dass die betroffene Person wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß fĂŒr den Fall, dass sie die GeschĂ€ftsverbindung mit einer Person nicht beenden darf, gegen die sich die SekundĂ€rsanktionen richten, die sich aus den gelisteten Gesetzen ergeben.“ (Herv. K.A.).
↑15 S. dazu van Elsuwege und Ambos, DRiZ 2025, 202 (203) (anlĂ€sslich des ungarischen EU-Austritts).
↑16 S. zuletzt die ErklĂ€rung der IStGH-Vertragsstaatenversammlung [Assembly of States Parties, ASP] vom 3.12.2025, para. 3 und die Resolution „Strengthening the International Criminal Court“ vom 5.12.2025, S. 3 u. para. 2 f.; aus zivilgesellschaftlicher Sicht s. hier. Krit. zum Schweigen Kanadas s. Kersten.
↑17 S. zuletzt die Rede des Registrar Osvaldo Zavala Giler auf der letzten ASP hier, S. 5 f.
↑18 Das verdient eine eigene Abhandlung, wobei es auch insoweit um die Erlangung finanzwirtschaftlicher und digitaler SouverĂ€nitĂ€t geht, z.B. durch parallele Zahlungssysteme wie das brasilianische PIX System (als Alternative zu PayPal und ApplePay, s hier).
↑19 S. auch die insoweit relevante UN-Konvention zum Schutz von Diplomaten und anderer gleichgestellter Personen von 1973; dazu auch Hovell.

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Eingefroren, aber nutzbar

Die EuropĂ€ische Union (EU) diskutiert seit Wochen darĂŒber, die Ukraine mit eingefrorenem russischen Zentralbankvermögen zu unterstĂŒtzen. Im Zentrum steht dabei die Idee eines  EU-Reparationsdarlehens, das den eigenen Haushalt entlasten und gleichzeitig eine unliebsame Konfiskation vermeiden soll. Entgegen vorgebrachter Bedenken ist eine völkerrechtskonforme Konstruktion unter reduzierten Haftungsrisiken möglich.

Eine finanzielle Bestandsaufnahme

Mit etwa 210 Mrd. Euro befindet sich der Großteil des weltweit eingefrorenen russischen Zentralbankvermögens in der EU. Der belgische Zentralverwahrer Euroclear verwaltet rund 194 Mrd. Euro, nunmehr in Form von Barvermögen. Normalerweise wĂŒrde die Zentralbank als GlĂ€ubiger dieses Geld sofort reinvestieren oder abziehen. Das seit Ende Februar 2022 intakte Transaktionsverbot (das „Einfrieren“) verhindert jedoch genau das, wodurch es zur Akkumulation der Gelder kommt. Euroclear ist regulatorisch dazu angehalten, dieses Barguthaben zu reinvestieren, um Kreditrisiken zu minimieren.

Infolge der regelmĂ€ĂŸig generierten ErtrĂ€ge steigen die verwalteten BarbestĂ€nde damit kontinuierlich an. Die Gelder sind Teil eines einzigen und unteilbaren Girokontos bei Euroclear, dessen Unterteilungen allein buchhalterischen Zwecken dienen. Konkret folgt aus den allgemeinen Vertragsbedingungen sowie aus dem belgischen und europĂ€ischen Rechtsrahmen, dass das russische Barvermögen eine Buchposition Euroclears darstellt, welche bloß schuldrechtliche Forderungen begrĂŒndet. Russland stehen damit keine Eigentumsrechte an dem Barguthaben selbst zu, was auch die Kommission annimmt.

VorlÀufermodell

Bereits jetzt wird auf die sanktionsbedingten ErtrĂ€ge der eingefrorenen Gelder zugegriffen. Art. 1 (1) der Verordnung 2024/1469 sieht vor, dass 99,7 % der mittels des eingefrorenen Zentralbankvermögens generierten Mehreinnahmen abzuschöpfen sind, indem Zentralverwahrern wie Euroclear eine halbjĂ€hrliche Abgabepflicht auferlegt wird. Angestoßen durch ein gemeinsames Konzeptpapier der G7-Staaten beschloss die EU mit der Verordnung 2024/2773, dass die so abgeschöpften ErtrĂ€ge anteilig zur Sicherung darlehensbasierter Finanzhilfen an die Ukraine in Höhe von etwa 18 Mrd. Euro genutzt werden (sog. macro-financial assistance loans (MFA–Darlehen)). Das MFA-Darlehen ist der Beitrag der EU zu den Darlehenshilfen der G7-Staaten, die sich insgesamt auf 45 Mrd. Euro belaufen.

Die Finanzierung der Darlehen stellt die Kommission durch die Aufnahme von Krediten sicher. An dieser Stelle kommen nun die abgeschöpften ErtrĂ€ge ins Spiel. Bei RĂŒckzahlung der MFA-Darlehen sowie der bilateralen Darlehen greift eine Kaskaden- bzw. Wasserfallstruktur: auf der ersten Stufe sind allein jene abgeschöpften ErtrĂ€ge heranzuziehen. Erst wenn diese nicht ausreichen, ist auf weitere RĂŒckzahlungsmöglichkeiten zurĂŒckzugreifen, ehe die Ukraine selbst haften wĂŒrde. Eine Einstandspflicht der Mitgliedstaaten ist hingegen nicht vorgesehen; vielmehr begnĂŒgt sich die EU in ErwĂ€gungsgrund 30 mit einem Hinweis auf außerordentliche Haushaltsgarantien im MehrjĂ€hrigen Finanzrahmen.

Die Konstruktion des Reparationsdarlehens

Die Idee des Reparationsdarlehens geht dagegen noch einen Schritt weiter und nimmt das eingefrorene Stammvermögen selbst in den Blick. Wie sich der bisherigen Diskussion (siehe etwa hier, hier, hier und hier) und konkret dem Kommissionsentwurf entnehmen lĂ€sst, lĂ€sst sich die anvisierte Konstruktion wie folgt herunterbrechen: Die zunĂ€chst verwendete Bezeichnung als tailored debt-contract findet sich im Kommissionsentwurf als debt instrument wieder. Hiernach wird die Kommission ermĂ€chtigt, das Barguthaben insbesondere von Zentralverwahrern wie Euroclear zu leihen, vgl. Art. 23 (1) i.V.m. Art. 4 (1) (a). Der Wortlaut („empowered [..] to borrow“) erinnert stark an die Finanzierung der MFA-Darlehen sowie an die KreditermĂ€chtigung hinsichtlich Next Generation EU (NGEU). Es handelt sich allerdings nicht um gewöhnliche Kreditaufnahmen wie die konkreten Parameter des debt instruments in Art. 23 (2) nahelegen. Die so generierten Mittel sind der Ukraine als Darlehen zur VerfĂŒgung zu stellen. Voraussetzung hierfĂŒr ist, dass die Ukraine rechtsstaatliche Garantien achtet und Korruption bekĂ€mpft, kombiniert mit einer Kontrolle des finanziellen Bedarfes, Art. 5 (1, 2). Vorbehaltlich des tatsĂ€chlich verwalteten Barvermögens wird der maximale Gesamtbetrag von 210 Mrd. Euro progressiv bis Ende 2030 zur VerfĂŒgung gestellt, Art. 4 (1). Allerdings sollen hieraus zugleich die bisherigen Darlehenshilfen rĂŒckgezahlt werden, Art. 10 (2).

Der Entwurf des Reparationsdarlehens unterscheidet sich von dem obigen MFA-Darlehen primĂ€r dadurch, dass Euroclear bislang anhand eigener Richtlinien das russische Vermögen mittels Einlagen bei der EZB (re-)investiert hat, die EU nun aber vorschreiben wĂŒrde, wie das Geld anzulegen wĂ€re. Zudem begrenzt sich die Kreditaufnahme der EU auf eine zugeschnittene Schuldverschreibung bloß gegenĂŒber bestimmten Finanzinstituten, womit nicht nur die Verwendung, sondern auch die Beschaffung der Gelder zweck- und gegenstandsbezogen ist. Die zumindest quantitative Einbindung der vormalig russischen Vermögenswerte in das Reparationsdarlehen dient somit nicht als bloße Sicherheit.

DarĂŒber hinaus bleibt ein finaler Entzug der zugrundeliegenden russischen Vermögenswerte weiterhin möglich. Konkret könnte die Rechtsgrundlage des Reparationsdarlehens ein sog. set-off-Verfahren als weiterfĂŒhrende Handlungsoption umfassen. Die Konstruktion lĂ€sst sich vereinfacht als Verrechnungs- bzw. Aufrechnungslösung beschreiben: ZunĂ€chst stellt die Ukraine der EU als Darlehensgeberin ihre Forderungen gegenĂŒber Russland als Sicherheit. Kommt es nun zur RĂŒckzahlungspflicht an Euroclear, kann die EU in eben diese Sicherheit vollstrecken, sodass die Kompensationsforderungen auf sie ĂŒbergehen. Infolge der somit hergestellten Gegenseitigkeit zu der Forderung Russlands auf RĂŒckzahlung der eingefrorenen Vermögenswerte kann es zur Verrechnung kommen. Rechtlich zweifelsfrei ist diese Option gleichwohl nicht; der Kommissionsentwurf geht hierauf gar nicht erst ein. Vielmehr steht der Entwurf ganz im Zeichen der PrĂ€misse, sauber zwischen AnsprĂŒchen und Barvermögen zu trennen und Ersteres nicht anzutasten.

Eine völkerrechtskonforme Gegenmaßnahme?

Wie bereits gegenĂŒber einer möglichen Konfiskation eingewandt, muss sich jedoch auch ein Reparationsdarlehen daran messen lassen, ob es rechtlich  zulĂ€ssig ist.

So weist etwa Buatte darauf hin, dass Eigentumsrechte Russlands beeintrĂ€chtigt werden könnten. Die Miteigentumsrechte an den ursprĂŒnglich gehaltenen Sicherheiten wirken jedoch nicht fĂŒr das nun bestehende Barguthaben fort. Überdies findet sich in den Vertragsbedingungen Euroclears der Hinweis auf eine mögliche BeeintrĂ€chtigung von Vermögenswerten durch die Befolgung etwaiger Sanktionsanordnungen; ein schutzwĂŒrdiges Vertrauen Russlands erscheint vor diesem Hintergrund fragwĂŒrdig.

Denkbar ist hingegen eine Verletzung der StaatenimmunitĂ€t, die – jedenfalls bei analoger Anwendung oder im Wege einer  interpretativen Erweiterung – auch gegenĂŒber formell nicht gerichtlichen Maßnahmen greifen könnte. Gleichzeitig ist es nicht das bei Euroclear verbuchte Barvermögen, sondern sind es vielmehr die zugrundeliegenden AnsprĂŒche Russlands gegen Euroclear, die ImmunitĂ€tsschutz genießen, womit allein das Einfrieren selbst als Verletzungshandlung in Frage kommt. Überdies ließe sich auf weitere Völkerrechtsnormen zurĂŒckgreifen, um eine SchutzlĂŒcke der ImmunitĂ€t zu schließen.

Auch wenn eine Verletzung von Völkerrecht damit jedenfalls möglich scheint, muss eine völkerrechtliche Betrachtung jedoch auch das Verhalten Russlands einbeziehen. Die Völkerrechtswidrigkeit des russischen Angriffskrieges ist unstrittig. Hinzu kommt, dass die bislang unterlassenen Reparationsleistungen selbst eine (sekundĂ€rrechtliche) Völkerrechtsverletzung begrĂŒnden. Die primĂ€r verletzten Pflichten stammen aus sog. ius cogens Normen und gelten erga omnes, also gegenĂŒber der gesamten Staatengemeinschaft. Insbesondere dieser Umstand trĂ€gt die (wenngleich nicht unumstrittene) Annahme, dass auch andere Staaten als die Ukraine – sog. Drittstaaten – zu Gegenmaßnahmen greifen können. Gemeint sind hiermit Handlungen, die unter bestimmten Voraussetzungen nicht völkerrechtswidrig sind (Art. 22, 49 ff., 54 Draft articles on responsibility of States for internationally wrongful acts). Damit auch das Reparationsdarlehen hiervon umfasst ist, muss es sich um eine temporĂ€re und weitestgehend reversible Maßnahme handeln.

Euroclear schuldet die RĂŒckzahlung einer bestimmten Summe; das russische Vermögen ist kein identifizierbarer Gegenstand. Dieser Anspruch als „Vermögensstamm“ besteht fort, wenn Euroclear, wie ĂŒblich, einen Teil des verwalteten Barguthabens in Wertpapiere umschichtet. Die Sicherheiten des debt instrument fungieren damit faktisch als eine Art Platzhalter fĂŒr das weitergeleitete Barvermögen, das substanziell erhalten bleibt. Im letzten Satz von Art. 23 (2) des Kommissionsentwurfs ist gar von einer Einordnung als bargeldĂ€hnlich die Rede.

Einen weiterhin flexiblen Zugriff auf die verwahrten Vermögenswerte ließe sich dadurch erreichen, dass die RĂŒckzahlungspflicht unmittelbar durch ein Entfrieren der Gelder ausgelöst wird. Damit stĂŒnde das Reparationsdarlehen, wie auch das Transaktionsverbot, unter der auflösenden Bedingung, dass Russland den Angriffskrieg beendet und Wiedergutmachung leistet. Dieser Umstand hĂ€lt Russland weiter dazu an, auf den Boden des Völkerrechts zurĂŒckzukehren. Allein die faktische Anmaßung der VerfĂŒgungsbefugnis durch die EU Ă€ndert nichts an der rechtlichen Zuordnung der Gelder. Andernfalls mĂŒsste auch das Einfrieren bereits als konfiskatorisch qualifiziert werden; ein Vorwurf, wie ihn selbst Russland nicht erhoben hat. Ebenso wie bei blockierten Transaktionen ist damit auch das Reparationsdarlehen hinreichend reversibel. Eine dezentrale Durchsetzung völkerrechtlicher Reparationspflichten wĂŒrde somit vermieden werden, die EU wĂŒrde sich nicht der Rolle des Internationalen Gerichtshofes oder des Sicherheitsrates anmaßen.

Haftungsrisiken

Dennoch ist die Idee nicht frei von Haftungsrisiken, sowohl in Bezug auf die Schuldverschreibung etwa gegenĂŒber Euroclear als auch in Bezug auf den bloß gehemmten RĂŒckzahlungsanspruch Russlands. Neben den eher geringen rechtlichen Risiken, etwa dass die gegenwĂ€rtigen EU-Sanktionen gerichtlich aufgehoben werden oder es zu Schadensersatzklagen Russlands kommt, besteht vor allem ein politisches Risiko, denn geopolitische Interessen in der EU verlaufen heterogen. Doch auch dieses Risiko wird reduziert. Nachdem bislang eine einstimmige VerlĂ€ngerung der Sanktionen erforderlich war, sollen die russischen Vermögenswerte nun auf unbegrenzte Zeit eingefroren werden.

Gleichwohl mĂŒssen adĂ€quate Mechanismen bereitstehen, um eine jederzeitige RĂŒckzahlung der Gelder zu gewĂ€hrleisten. Der Kommissionsentwurf berĂŒcksichtigt dies. Vorrangig und idealerweise erfolgen freiwillige russische Kompensationszahlungen, womit sich Russland faktisch freikaufen wĂŒrde. Unterbleibt dies, sollen nationale Garantien bereitstehen. Diese sind zugleich eine Bedingung fĂŒr korrespondierende Auszahlungen des Darlehens, Art. 4 (1) (b). DarĂŒber hinaus kann die EU zu liquiditĂ€tssichernden Maßnahmen greifen, die allerdings zunĂ€chst bloß der ErfĂŒllung der nationalen Garantien dienen sollen.

Potenziell brisant ist die Ausgestaltung der nationalen Garantien im Kommissionsentwurf; ihre Notwendigkeit folgt aus dem bereits ausgereizten EU-Haushalt. Die Haftungssummen sollen sich am jeweiligen Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten orientieren, Art. 25 (3), womit insbesondere der Sorge Belgiens vor ungeklĂ€rten Haftungsquoten hinreichend Rechnung getragen wird. Auch ein unvorhersehbares, gesamtschuldnerisches Haftungsrisiko fĂŒr die Mitgliedstaaten geht hiermit nicht einher (vgl. auch BVerfGE 164, 193 Rn. 202, 213 ff.). Überdies dienen die bilateralen Garantien bloß der ÜberbrĂŒckung, da sie mit dem kommenden MehrjĂ€hrigen Finanzrahmen durch unionale Garantien abgelöst werden sollen, Art. 26 (f) i.V.m. Art. 4 (5). Damit soll die LiquiditĂ€tssicherung ab 2028 vollstĂ€ndig in den EU-Haushalt integriert werden. Es handelt sich zwar um keine „Vorleistung“ der EU à la MFA-Darlehen, jedoch entstĂŒnden wohl eigenmittelbasierte RĂŒckstellungen fĂŒr die Eventualverbindlichkeiten.

In Anlehnung an die Konzeption der 750 Mrd. Euro umfassenden KreditermĂ€chtigung im Rahmen von NGEU zeigt sich hierin die konsequente FortfĂŒhrung der spĂ€testens seit der COVID-19-Pandemie etablierten Krisen-Architektur in Form kollektiver Einstandspflichten. WĂ€hrend dort die RĂŒckzahlung der bis zu 750 Mrd. Euro aufgenommenen Kredite jedoch definitiv ist, hĂ€ngt die RĂŒckzahlung der 140 Mrd. Euro an Euroclear kumulativ von unterbleibenden Kompensationszahlungen Russlands, einer rechtlich oder politisch bedingten Freigabe der Gelder sowie von einem Verzicht auf das set-off Verfahren ab.

Insgesamt bereitet das Reparationsdarlehen damit keinen Weg in eine „Schuldenunion“ – es geht vielmehr um die finanzielle Entlastung der EU mittels eines temporĂ€ren und krisengebundenen Instrumentes.

Ausblick

Im Ergebnis kann die Konstruktion des Reparationsdarlehens die rechtlichen und finanziellen Risiken zwar nicht völlig ausschließen, aber weitestgehend minimieren. Die Kombination mit einem potenziellen set-off Verfahren wĂ€re wĂŒnschenswert, da es ein Spielen auf Zeit ermöglicht: Das eingefrorene Vermögen kann weiter als Hebel in Friedensverhandlungen eingesetzt werden, die Handlungsoptionen werden offengehalten und eine wĂŒnschenswerte Legitimation der russischen Kompensationspflichten durch internationale Gerichte wird wahrscheinlicher.

Gleichzeitig zeigt die Dissonanz von rechtlichem Können und tatsÀchlichem Handeln auf, dass es letztlich vom politischen Willen abhÀngt, ob rechtliche Risiken eingegangen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die EU einen Meilenstein schaffen wird, der das Völkerrecht respektiert und seine Geltung demonstriert. Ein Reparationsdarlehen kann diesen Balanceakt bewÀltigen.

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