Mehr als Lex NPD
Die Diskussion um ein mögliches AfD-Verbot ist und bleibt virulent. So wies etwa BundesprĂ€sident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 9. November ausdrĂŒcklich auf die Möglichkeit des Parteiverbots hin und adressierte dabei die AfD, ohne sie namentlich zu erwĂ€hnen. Steinmeiers Rede wurde umgehend kommentiert: Die AfD spricht von âAmtsmissbrauchâ, Wolfgang Kubicki von einem âschwerwiegenden Fehlerâ. Andere â so der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter oder der thĂŒringische Innenminister Georg Maier â sehen in den ĂuĂerungen Steinmeiers einen wichtigen Beitrag in der Debatte zum Umgang mit der AfD. Wieder einmal zeigt sich, dass in der Diskussion kaum Platz fĂŒr Zwischentöne ist. In der Tat stehen sich die Positionen weitgehend unversöhnlich gegenĂŒber. Keine der beiden Seiten ist ernsthaft in der Lage, ZugestĂ€ndnisse an die andere zu machen, und so gehen Versuche der Differenzierung angesichts beinahe tĂ€glicher EinwĂŒrfe von der politischen Seitenlinie regelmĂ€Ăig unter.
Ob ein Verbotsantrag der richtige Weg im Umgang mit der AfD ist, verkommt mehr und mehr zu einer Debatte von GlaubenssĂ€tzen. WĂ€hrend eine Seite in der Verfassung selbst mit ihrer âwehrhaften Demokratieâ ein wesentliches Argument fĂŒr ein solches Verfahren sieht, hĂ€lt die andere Seite die strengen Anforderungen an ein Parteiverbot fĂŒr ein grundsĂ€tzliches Argument gegen das Verfahren. Dabei enthĂ€lt das Grundgesetz selbst keine eindeutige Antwort auf die Frage nach den Risiken und Nebenwirkungen eines Verbotsverfahrens, sondern klĂ€rt lediglich dessen Voraussetzungen. Bei aller rechtswissenschaftlichen Exegese bleibt so unterbelichtet, dass das Grundgesetz mit der Möglichkeit zum Ausschluss einer Partei von der staatlichen Finanzierung in Art. 21 Abs. 3 GG selbst einen Zwischenton zwischen âweiter soâ und Verbot setzt. Dieser Regelung widmet sich der folgende Beitrag und zeigt dabei auf, dass diese auch gegen eine Partei wie die AfD zur Anwendung kommen könnte1).
Kein verfassungswidriges Verfassungsrecht
Damit Art. 21 Abs. 3 GG auf eine groĂe Partei wie die AfD anwendbar ist, muss die Regelung zunĂ€chst verfassungsmĂ€Ăig sein. Um dies zu begrĂŒnden, wird hĂ€ufig ein Erst-Recht-Schluss herangezogen. Wenn schon das Verbot verfassungsgemÀà ist, so mĂŒsse dies fĂŒr den bloĂen Ausschluss von der Finanzierung ebenso gelten, schlieĂlich sind die Voraussetzungen weitgehend gleich streng. Insofern wĂŒrde sich der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung nahtlos in die Systematik der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes einfĂŒgen, die das BVerfG bereits in der KPD-Entscheidung als âSynthese zwischen dem Prinzip der Toleranz [âŠ] und dem Bekenntnis zu gewissen, unantastbaren Grundwertenâ (Rn. 258) beschrieb. Wenngleich dieser Ausgangspunkt ausklammert, dass eine Partei, der die Finanzierung entzogen wurde, als âillegitime Kraftâ am politischen Wettbewerb teilnehmen und so ein neues PhĂ€nomen darstellen wĂŒrde, ist er doch im Ergebnis richtig. Gemessen an Art. 79 Abs. 3 GG ist Art. 21 Abs. 3 GG kein verfassungswidriges Verfassungsrecht. Weder die Schranke des Demokratieprinzips noch die der MenschenwĂŒrde in ihrer demokratisch-teilhaberechtlichen AusprĂ€gung werden in ihren Kernelementen durch den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung berĂŒhrt. Wie auch das Parteiverbot fordert der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung nĂ€mlich eine Beeinflussung oder BeeintrĂ€chtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Deren Schutz erstreckt sich jedoch im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 und 3 GG auf wenige unverzichtbare Grundprinzipien. Auch der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung kommt demnach erst in Betracht, wenn âdasjenige infrage gestellt und abgelehnt wird, was zur GewĂ€hrleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher auĂerhalb jedes Streits stehen mussâ.
GrundsÀtzlich gleicher Anwendungsbereich von Verbot und Ausschluss
Damit ist aber noch nicht geklĂ€rt, ob die Regelung tatsĂ€chlich auch auf groĂe Parteien anwendbar ist. Um dieser Frage nachzugehen, muss das VerhĂ€ltnis zum Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG in den Blick genommen werden. Der Gesetzgeber schuf die Norm als Reaktion auf die zweite NPD-Entscheidung des BVerfG, da die NPD nach Ansicht des BVerfG mangels politischer Bedeutung nicht verboten werden konnte. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Parteiverbot und Finanzierungsentzug ist demnach das vom BVerfG in Art. 21 Abs. 2 GG hineingelesene Kriterium der PotenzialitĂ€t. Eine Partei kann demnach nur verboten werden, wenn neben einer Programmatik, die die bestehende freiheitliche Ordnung beseitigen will, auch die Möglichkeit besteht, dass dieses Ziel erreicht wird. Die NPD wurde damals also von ihrer vollkommenen Bedeutungslosigkeit âgerettetâ. Das könnte als Indiz dafĂŒr gesehen werden, dass der Finanzierungsentzug nur eine âLex NPDâ ist und sich ihr Anwendungsbereich in Kleinstparteien erschöpft, die mangels PotenzialitĂ€t nicht verboten werden können. Dem Wortlaut der Regelungen lĂ€sst sich ein solches RangverhĂ€ltnis allerdings nicht entnehmen. WĂ€hrend das Verbot voraussetzt, dass die Partei auf die verfassungswidrige Zielsetzung âausgehenâ muss, verlangt der Finanzierungsentzug lediglich, dass die Partei darauf âausgerichtetâ ist. Damit beschrĂ€nkt sich Art. 21 Abs. 3 GG keineswegs ausdrĂŒcklich auf âkleineâ Parteien. Auch dem einfachen Recht ist nicht zu entnehmen, dass vorrangig ein Verbotsverfahren eingeleitet werden muss. § 43 Abs. 1 S. 2 BVerfGG stellt lediglich klar, dass der Antrag auf Ausschluss von der staatlichen Finanzierung hilfsweise zu einem Verbotsantrag gestellt werden kann. Nur weil die Vorschrift im Zuge des gescheiterten NPD-Verbots geschaffen wurde, ist ihr Anwendungsbereich somit nicht auf Parteien beschrĂ€nkt, deren Struktur der NPD Ă€hnelt.
Ermessensbindung?
Aus dem VerhÀltnis von Parteiverbot und Finanzierungsentzug kann demnach keine BeschrÀnkung des Anwendungsbereichs von Art. 21 Abs. 3 GG abgeleitet werden. Eine solche könnte allerdings aus einer anderen, in der Literatur durchaus verbreiteten ErwÀgung abgeleitet werden. Wenn die antragsberechtigten Organe verfassungsrechtlich unter bestimmten Bedingungen verpflichtet sind, einen Verbotsantrag zu stellen, wÀre es ihnen im Umkehrschluss mindestens in dieser Konstellation verwehrt, gegen dieselbe Partei einen Antrag zu stellen, der sich allein auf den Finanzierungsentzug richtet.
Ob die zur Antragstellung berechtigten Organe unter gewissen UmstĂ€nden verpflichtet sind, einen Verbotsantrag zu stellen, wird seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Das erstaunt vor dem Hintergrund, dass das BVerfG bereits im Verfahren zum KPD-Verbot im Jahr 1956 ausfĂŒhrte, dass ein âpolitisches Ermessenâ bestehe, auch wenn die Antragsteller die Partei fĂŒr verfassungswidrig halten. Dennoch finden sich â wenn auch mit divergierenden BegrĂŒndungen â seit jeher Stimmen, die sich fĂŒr eine Antragspflicht aussprechen.
In den Nachwehen des KPD-Verbots und unter dem Eindruck der auĂerparlamentarischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre machte sich etwa der zu dieser Zeit im Innenministerium tĂ€tige Verwaltungsjurist Karl-Heinz Seifert fĂŒr eine Antragspflicht stark. Seifert, der bereits im Nationalsozialismus als Beamter Karriere machte, sah insbesondere die Bundesregierung aufgrund des LegalitĂ€tsprinzips sowie der Regelungstechnik von Art. 21 Abs. 2 GG (âsind verfassungswidrigâ) zur Antragstellung verpflichtet, andernfalls âdrohe die streitbare Demokratie zur bloĂen Phrase und SelbsttĂ€uschung zu verkommenâ. Auch in der aktuellen Debatte wird auf die Regelungstechnik von Art. 21 Abs. 2 GG hingewiesen, um einen schrumpfenden Ermessensspielraum bei der Antragstellung zu begrĂŒnden. Und in der Tat: Wer der Auffassung folgt, dass Parteien bereits vor der Feststellung durch das BVerfG aufgrund des Wortlauts der Normen materiell-rechtlich verfassungswidrig âsindâ, der kann daraus Konsequenzen fĂŒr das EntschlieĂungsermessen der Antragsteller ziehen. Daneben wird in der wissenschaftlichen Debatte hĂ€ufig darauf verwiesen, dass es in einem Rechtsstaat kein freies Ermessen geben könne und auch die Historie der Vorschrift als Antwort auf die vermeintliche SchwĂ€che der Weimarer Verfassung fĂŒr eine Antragspflicht spreche.
Gegen diese Argumente sprechen allerdings erhebliche EinwĂ€nde. So sind jene BegrĂŒndungen fĂŒr eine Antragsverpflichtung, die aus der Historie und dem Zweck des Art. 21 Abs. 2 GG abgeleitet werden, einseitig darauf bezogen, ein Parteiverbot zu ermöglichen. Dass das Parteiverbot durch das verfassungsgerichtliche Monopol auch beschrĂ€nkt wird, wird kaum gewĂŒrdigt. Bis das BVerfG ĂŒber das Verbot entschieden hat, bewegen sich alle Parteien im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten politischen Freiheit. Das Verbotsverfahren ist daher eben keine SanktionsmaĂnahme fĂŒr vorangegangenes politisches Fehlverhalten, sondern wirkt zukunftsorientiert. Aus dem Umstand, dass politische Freiheit bis zur Entscheidung durch das BVerfG nicht staatlich sanktioniert werden darf, folgt der Charakter des Parteiverbots und der wehrhaften Demokratie als solcher. Dieser liegt mit Helmut Ridder nicht in der Abwehr von an sich verfassungswidrigem Verhalten, sondern in der Befugnis zur UnterdrĂŒckung von Strömungen, die die Abschaffung der âfreiheitlich demokratischen Grundordnungâ zum Ziel haben. Das Grundgesetz beinhaltet insofern keinen Automatismus, sondern erlaubt es den verantwortlichen Organen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ausnahmsweise und unter Monopolisierung der Entscheidung beim BVerfG gegen Gegner der freiheitlichen Ordnung vorzugehen.
Befassungsauftrag!
Können sich die politisch verantwortlichen Organe, obwohl sie von der Verfassungswidrigkeit einer Partei ĂŒberzeugt sind, nicht zur Antragsstellung durchringen, so ist diese WidersprĂŒchlichkeit gerade eine Konsequenz aus der konkreten Gestaltung der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes. Sie ermöglicht Parteiverbote, ohne sie zu verlangen, eben weil der schmale Grat zwischen Freiheitsschutz und FreiheitsbeschrĂ€nkung politischer Verantwortung bedarf. Das bedeutet wiederum aber ebenso wenig, dass die antragsberechtigten Organe das Parteiverbot einfach rechts liegen lassen dĂŒrfen. Gerade weil das Grundgesetz die Möglichkeit ausdrĂŒcklich vorsieht, lĂ€sst sich aus Art. 21 GG ein Befassungsauftrag ableiten, sich ernsthaft mit der Option eines Verbots auseinanderzusetzen. Am Ende dieser Auseinandersetzung kann dann aber auch das Ergebnis stehen, dass trotz hoher Erfolgsaussichten ein Antrag nicht gestellt wird, weil die potenziellen Antragsteller zu der Ăberzeugung kommen, dem Schutz der freiheitlichen Ordnung ohne Verbot besser dienen zu können.
Konsequenzen fĂŒr das VerhĂ€ltnis von Verbot und Finanzierungsentzug
FĂŒr den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 und 3 GG ergeben sich, je nach vertretenem Standpunkt, unterschiedliche Konsequenzen. Soweit eine Antragspflicht angenommen wird und deren Bedingungen erfĂŒllt sind, kommt dagegen nur noch ein Parteiverbotsverfahren in Betracht, sofern die Partei das Kriterium der PotenzialitĂ€t mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfĂŒllt. Wenn, wie hier, lediglich von einem Befassungsauftrag ausgegangen wird, sind die Antragsteller hinsichtlich der Wahl des Mittels â Verbot oder Finanzierungsentzug â nicht gebunden. Dieses Ergebnis lĂ€sst sich auch durch eine systematische Ăberlegung absichern. MaĂnahmen nach Art. 21 Abs. 2 und Abs. 3 GG verlangen nĂ€mlich, dass es sich bei der fraglichen Organisation ĂŒberhaupt um eine Partei handelt. Die Rechtsprechung verlangt jedoch: Je lĂ€nger eine Partei existiert, desto eher muss sie auch tatsĂ€chlich in der Lage sein, an der politischen Willensbildung teilzuhaben. Organisationen, die dieses Kriterium nicht erfĂŒllen, fallen nicht unter Art. 21 Abs. 2 und Abs. 3 GG. WĂ€re Art. 21 Abs. 3 GG auf Parteien begrenzt, die das PotenzialitĂ€tserfordernis nicht erfĂŒllen, könnte die Norm nur auf Organisationen angewendet werden, die zwar groĂ genug sind, um Einfluss auf die Willensbildung zu nehmen, deren Einfluss aber nicht ausreicht, um ihre Ziele tatsĂ€chlich durchzusetzen. FĂŒr den Finanzierungsentzug verbliebe somit allein dort ein Anwendungsbereich, wo eine Partei bereits staatlich finanziert wird (gem. § 18 Abs. 4 S. 1 PartG ĂŒber 0,5 bzw. 1,0 %), aber noch nicht das Potenzial aufweist, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch zu erreichen. FĂŒr Parteien, die nicht an der staatlichen Finanzierung teilnehmen, wĂŒrde der Finanzierungsausschluss zwar immerhin noch Steuerprivilegien beenden. Dennoch fiele der durch die Norm selbst genannte Anwendungsbereich â nĂ€mlich der Entzug der Finanzierung â weitgehend aus, da die PotenzialitĂ€t bereits bei geringen Wahlerfolgen anzunehmen ist.
Kein âParteiverbot lightâ, aber ein zusĂ€tzliches Instrument
Art. 21 Abs. 3 GG gibt den Antragstellern damit ein Mittel an die Hand, in einem rechtsstaatlichen Verfahren und unter hohen Voraussetzungen durch das BVerfG feststellen zu lassen, dass eine Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt, ohne diese vollstĂ€ndig von der politischen Willensbildung auszuschlieĂen. Diese Möglichkeit besteht auch fĂŒr groĂe Parteien. Das Grundgesetz zeigt im Umgang mit potenziellen Feinden der Freiheit Wege auf, ohne sie vorzuzeichnen. Dabei rĂŒckt bei einem Antrag auf Entzug der Finanzierung die Signalwirkung in den Vordergrund. Statt auf die exekutive Durchsetzung eines möglichen Verbots zu vertrauen, verlieĂen sich die Antragsteller ĂŒberwiegend auf die Wirkung, die von der Entscheidung des BVerfG ausgehen wĂŒrde. Angesichts der Rolle des Gerichts im demokratischen System muss dies keinesfalls ein Nachteil sein.
Damit ist Art. 21 Abs. 3 GG kein Verbot âlightâ. Das Grundgesetz kennt aber seit der EinfĂŒhrung des Absatzes neben legalen und illegalen Parteien eine dritte Kategorie: die âverfassungsfeindlicheâ, aber wĂ€hlbare Partei. Damit schafft die Regelung eine neue FlexibilitĂ€t, die gleichwohl keinen âgoldenen Wegâ aus dem Dilemma bietet, das Parteiverbot und wehrhafte Demokratie schaffen. Es bleibt dabei, dass die politisch Verantwortlichen entscheiden mĂŒssen, welchen Weg sie beim Umgang mit potenziell verfassungsfeindlichen Parteien wĂ€hlen. Die Verfassung selbst erzwingt dabei nichts, die Diskussion darum wird sich fortsetzen.
References
| â1 | Bei dem Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen aus Maurer/Spahr, MIP 2025, S. 284f. |
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